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"Verlässliche Partner"

Fast 50 Jahre sitzt Dr. Wolfgang Schäuble im Bundestag. Also fast so lange wie der BVR nun alt geworden ist. Vierzehnmal wurde er direkt in das deutsche Parlament gewählt. Rekord. Im Gespräch mit dem Fachmagazin Bankinformation (BI) lässt der ehemalige Finanzminister sowie Bundestagspräsident wichtige finanzpolitische Ereignisse Revue passieren und blickt auch auf die deutsche Bankenlandschaft.

BI: 50 Jahre gibt es nun den BVR – und Sie sitzen seit fast 50 Jahren im Deutschen Bundestag. Auch wenn die beiden Ereignisse natürlich wenig miteinander zu tun haben: Können Sie sich erinnern, wann Sie das erste Mal von Genossenschaftsbanken gehört haben?

Schäuble: Ich komme aus einer kleinstädtischen Region – und da gab es im Finanzsektor eigentlich nur Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Mein Vater war viele Jahre im Aufsichtsrat der Volksbank Triberg. Insofern gab es hier schon früh Berührungspunkte. Im Jahr 1972 bin ich dann in den Bundestag gewählt worden – im Wahlkreis Offenburg. Und als ich dann von Freiburg nach Offenburg gezogen bin, habe ich ein Konto bei der Volksbank Offenburg eröffnet. Das Institut hat inzwischen ein paar Mal fusioniert und ist dabei immer größer geworden – aber es ist noch immer meine Volksbank.

BI: Also waren Ihre Erfahrungen gut, sonst wären Sie der Bank ja nicht so lange treu geblieben?

Schäuble: Ja, wir sind nach wie vor eng verbunden. Wenngleich ich über manches Engagement der Dachorganisationen an schlecht beleumundeten Finanzplätzen mehr als nur einmal heftig den Kopf schütteln musste, so ist mein Vertrauen in meine lokale Bank nie enttäuscht worden. Eine Zeit lang habe ich mich auch in der Vertreterversammlung des Instituts engagiert. Unter anderem bin ich auch schon lange Schirmherr für den Preis, den die Volksbank Offenburg für besondere soziale Projekte vergibt. Bei der Preisverleihung halte ich dann im Zweifel eine mehr oder minder kluge Rede.

BI: Sie sprachen schon von Sparkassen und Volksbanken bei Ihnen in der Gegend. Die Drei-Säulen-Struktur des Bankwesens in Deutschland ist ja inzwischen fast exotisch. Ist das ein ‚Auslaufmodell‘, so wie es Commerzbank-Chef Manfred Knof kürzlich andeutete?

Schäuble: Vertreter der Großbanken sagen das natürlich gern. Aber ich habe diese Drei-Säulen-Struktur des deutschen Finanzsektors immer verteidigt, weil ich sie aus Überzeugung für richtig halte. Mir ist bewusst, dass viele Ökonomen und Finanzpolitiker – und leider auch manche Wirtschaftspolitiker – diese Bankenlandschaft mit ihren vielen Akteuren eher für einen Nachteil des Standorts Deutschland halten. Ich denke, es ist genau andersherum. Und das habe ich auch immer gesagt. Ich glaube beispielsweise, dass Deutschland in der Finanz- und Bankenkrise am Ende resistenter und resilienter gewesen ist durch diese Dreiteilung unseres Bankensektors.


BI: Also ist der deutsche Finanzsektor mit seiner spezifischen Struktur aus Ihrer Sicht gut aufgestellt für die Zukunft?

Schäuble: Wir brauchen aus meiner Sicht eine gewisse arbeitsteilige Bankenwelt. Aber selbstverständlich benötigt die stark exportorientierte deutsche Volkswirtschaft auch große Banken – oder zumindest ein großes Institut. Hier sind der örtlichen Genossenschaftsbank natürlich Grenzen gesetzt, die sie jedoch im eigenen Verbund durchaus auch zum Teil überwinden kann. Nun gut, natürlich hat diese Marktstruktur auch Effizienznachteile. Die genossenschaftliche Gruppe war im Übrigen bei der internen Konsolidierung recht erfolgreich. Aber die Vorzüge dieses Systems – insbesondere die Krisenfestigkeit – haben für mich immer überwogen, auch wenn man damit nicht überall auf Zustimmung trifft.

BI: Gerade außerhalb Deutschlands, nehme ich an…

Schäuble: Ich weiß nicht, wie viele Debatten ich zu dieser Thematik in Brüssel geführt habe. Als deutscher Finanzminister war ich rund die Hälfte meiner Zeit beschäftigt mit Europa und auch mit den globalen Partnern, bei den G8 oder den G20.

BI: Stichwort Europa. Halten Sie in diesem Kontext die Bankenunion für eine gute Idee? Und braucht es für die Vollendung der Bankenunion aus Ihrer Sicht unbedingt eine vereinheitlichte Einlagensicherung auf europäischer Ebene?

Schäuble: Die Vollendung der Bankenunion ist ein zentraler Punkt für die Stabilisierung des Euro und wichtig für die europäische Wirtschaft. Dafür habe ich mich auch immer sehr engagiert. Und ich habe in diesem Kontext – durchaus zum Leidwesen der Vertreter der Bankenverbünde – nie gesagt, dass es nicht irgendwann eine gemeinsame Einlagensicherung geben wird. Denn ich verspreche ungern etwas, von dem ich nicht sicher bin, dass ich es auch halten kann. Auch Genossenschaftsbankern nicht. Die Bankenunion bleibt ohne gemeinsame Einlagensicherung unvollendet. Allerdings: Die Reihenfolge bei der Implementierung einer solchen gemeinsamen Einlagesicherung muss richtig sein. Als Finanzminister habe ich stets darauf hingewiesen, dass zuerst auf Ebene der Mitgliedstaaten sicherzustellen ist, dass die jeweiligen Bankbilanzen bereinigt werden und dass notwendige Sanierungen nicht auf Kosten gesunder Institute in anderen Ländern erfolgen können. Sobald diese Voraussetzung erfüllt ist, können und dann sollten wir auch über eine vernünftige gemeinsame Einlagensicherung reden.

BI: Sie hatten die Finanzkrise schon angesprochen. Sie wurden Finanzminister, als es darum ging, die Lehren aus dieser Krise zu ziehen. Waren die Rückschlüsse aus der Krise – vor allem die deutlich intensivere Regulierung – auch mit dem Blick von heute richtig und zielführend?

Schäuble: Zuerst ging es als neuer Finanzminister Ende 2009 darum, die dramatischen Auswirkungen auf den nationalen Haushalt zu managen. Der Entwurf für den Bundeshaushalt 2010 sah eine Neuverschuldung in der Größenordnung von fast einem Drittel des gesamten Haushalts vor. Zur Einordnung: Das ist mehr als aktuell zur Bewältigung der Corona-Pandemie vorgesehen. Natürlich war es daneben wichtig, die Finanzmärkte stärker zu regulieren. Da waren wir teilweise zu langsam. Aber es waren wahrlich komplexe Verhandlungen in Brüssel mit ungezählten Sitzungen bis tief in die Nacht. Das war anstrengend und nervenaufreibend. Insbesondere wurde gerungen, wie viel Kapital für welches Geschäft unterlegt werden muss. Am Ende haben wir tragfähige Lösungen gefunden und die Grundrichtung stimmte.

BI: Gerade kleinere genossenschaftliche Institute kritisieren immer wieder die überbordende Regulierung, die eben vor allem die Kleinen überproportional belastet. Ist die Bankenregulierung aus Ihrer Sicht verhältnismäßig genug?

Schäuble: Wissen Sie, der Vorteil meiner Erfahrung ist, dass ich auch ein Stück weit resistent geworden bin, gegen zu viel und zu kluge Interessenvertretung. Und deswegen habe ich auch immer gesagt: Versucht nicht, mich hinter die Fichte zu führen. Aber hier waren die Genossenschaftsbanken und auch ihr Verband zumeist verlässliche Partner. Da hat man gespürt, dass in der Breite dieser Organisation noch viel vom klassischen Verständnis des Bankgeschäfts vorhanden ist, was gerade den großen internationalen Konzernen in der Zeit vor der Krise ein Stück weit verloren gegangen ist.

BI: US-amerikanischen Großbanken geht es inzwischen blendend. In Europa darben viele Institute, in Deutschland hatten es gerade die Großbanken in den vergangenen Jahren sehr schwer. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Haben die Amerikaner ihre Kreditinstitute nach der Finanzkrise einfach klüger reguliert?

Schäuble: Die Amerikaner haben das sehr gut hingekriegt, das ist schon richtig. Aber sie haben dort als Politiker völlig andere Handlungsspielräume. Der Präsident hat im Verfassungssystem eine exponierte, sehr starke Rolle. Und er hat auch gegenüber der Zentralbank eine ganz andere Position. Das muss man bei dieser Betrachtung miteinbeziehen. Sie dürfen ebenso nicht vergessen, dass die USA durch die Pleite von Lehman Brothers am Anfang einen bitteren Preis gezahlt haben. Das hat leider sogar Menschenleben gekostet. Deshalb war die Reaktion auf die Krise vielleicht auch energischer.

BI: Was halten denn Amerikaner vom dreigeteilten deutschen Bankenmarkt?

Schäuble: Ich habe in dieser Zeit viel mit Tim Geithner, dem damaligen US-amerikanischen Finanzminister, zusammengearbeitet. Er hatte natürlich wenig Verständnis für den dreigeteilten deutschen Bankensektor. Dennoch hatten wir eine von Respekt gekennzeichnete Beziehung. Ich habe ihm immer gesagt, dass er von den Finanzmärkten viel mehr versteht als ich. Dafür weiß ich einiges über Politik, was für ihn Neuland war. Er hat diese Offenheit sehr geschätzt und so sind wir dann vertrauensvoll miteinander umgegangen, auch wenn wir in der Sache stark miteinander gerungen haben über die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise. Aber die Situation in unserem parlamentarischen System ist im Vergleich zu den USA völlig anders. Als deutscher Finanzminister brauchte ich für alle wesentlichen Entscheidungen eine Mehrheit im Bundestag und wie selbstbewusst unsere Parlamentarier in Finanz- und Haushaltsfragen sind, hat sich ja nicht zuletzt in der Eurokrise eindrucksvoll gezeigt.

BI: Eine weitere schwere Krise in ihrer Amtszeit als Finanzminister, die Sie sicherlich sehr gefordert hat…

Schäuble // Allerdings. Die von manchem als ach so intelligent bezeichneten Finanzmärkte haben die Vulnerabilität der Europäischen Währungsunion erst als Folge der Finanz- und Bankenkrise überhaupt entdeckt. Denn die Zinsdifferenzen zwischen den Euro-Staaten waren bis dahin marginal. Nun, in der Tat ist eine Währungsunion ohne einen Staat oder besser ohne eine gemeinsame Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ein fragiles Konstrukt. Da gibt es ganze Bibliotheken volkswirtschaftlicher Lehrbücher, die dies recht gut beschreiben. Wie auch immer, die Eurokrise hat sich dann schnell aufgeschaukelt. Selbst die Zinsdifferenz zu großen Mitgliedsstaaten wie Frankreich fing zwischendurch an, besorgniserregend groß zu werden. Der Fokus lag dann aber auf Griechenland. So kam es, dass sich ein erheblicher Teil meiner Arbeit – und meiner Sorgen – als Finanzminister bis über das Jahr 2015 hinaus damit befasste, einigermaßen durch die Eurokrise zu kommen. Dabei war mir immer wichtig: Wir lassen Griechenland – und auch die anderen besonders betroffenen Staaten – nicht allein, haben aber die Stabilität und Solidität des europäischen Währungsraums immer im Blick. Wir haben in Europa nach bester Überzeugung gehandelt und – aus heutiger Sicht – ist das Ergebnis gar nicht so schlecht, denke ich.

BI: Ist die Eurozone nun über den Berg?

Schäuble // Jedenfalls ist die Katastrophe vermieden worden und Griechenland ist heute auf einem besseren Weg, als es damals war. Natürlich waren die sozialen Folgen dort von großer Tragweite. Aber dies lag in der Verantwortung der griechischen Politik. Die Auseinandersetzung um den Schuldenschnitt für Griechenland war fürchterlich und eine Lösung erschien zunächst fast unerreichbar. Teilweise wurde ein Schuldenschnitt grundsätzlich abgelehnt und zum Beispiel Vertreter großer deutscher Banken vertraten die Auffassung, man könne mit einer marginalen Beteiligung der privaten Gläubiger das Problem lösen. Dabei war klar, dass alles unter einem Schuldenschnitt von mindestens 50 Prozent nicht ausreichte. Zumal die öffentlichen Gläubiger – also die EZB und ihre nationalen Zentralbanken – es strikt ablehnten, an einem Schuldenschnitt teilzunehmen. So musste die Sanierung ausschließlich über den Privatsektor laufen und der Schuldenschnitt von etwas über 50 Prozent für Griechenland hat sicherlich nicht alle Probleme für Griechenland gelöst, aber er hat für das Land ein Stück weit Luft verschafft. Und die Entwicklung in Griechenland seitdem zeigt – wenngleich vorsichtig – eine spürbare Erholung, wenn auch der Weg noch lang sein wird.

BI: Nun beherrscht die Coronapandemie das finanzpolitische Handeln. Dazu kommt noch die ultralockere Geldpolitik, die nicht zu enden scheint. Spannende Zeiten für einen Finanzminister…

Schäuble: Da haben Sie Recht. Es ist aber gute Tradition, dass ehemalige Amtsinhaber ihren Nachfolgern öffentlich keine klugen Ratschläge erteilen. Was allerdings meiner Meinung nach unterschätzt wird, ist das Risiko einer stetig hohen Inflation. Die Vorstellung, dass Geld überhaupt keine Begrenzung braucht, überzeugt mich nicht. Die besondere institutionelle Unabhängigkeit der EZB ist ein hohes Gut. Aber ich werde nicht müde zu sagen, dass dies nicht heißen kann, dass die EZB ihr Mandat nach eigenem Ermessen ausweiten kann. Und ja, meine gute Freundin Christine Lagarde kennt hier meine Meinung.

BI: Der Wandel der Gesellschaft und Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität wird immense Investitionen erfordern. Welche Rolle spielen hierbei Ihrer Meinung nach die Banken?

Schäuble: Ich glaube, es ist unstrittig, dass diese Menschheitsaufgabe zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels absolut notwendig ist. Dies wird nicht zum Nulltarif gehen und alle Akteure fordern. Deswegen ist es richtig, dass hier auch geprüft wird, was der Finanzsektor dazu beitragen kann. Aber ich weiß aus meiner Tätigkeit als Finanzminister, dass es nicht darauf ankommt, welche Finanzierungsvolumina für Investitionen zur Verfügung stehen, sondern es ist auch relevant, was tatsächlich ausgegeben werden kann. Die meisten Investitionen in Deutschland, auch in Europa, sind nicht ist aus einem Mangel an Finanzmitteln oder Liquidität gescheitert, sondern aus einem Mangel an umsetzungsreifen Projekten. Fragen Sie doch mal bei der Europäischen Investitionsbank nach, wie schwierig es ist, die vorhandenen Mittel sinnvoll einzusetzen.

BI: Sie sind nun in der neuen Legislaturperiode sozusagen ‚einfacher‘ Abgeordneter ohne spezielles Amt. Welche Politikfelder werden Sie bei Ihrer künftigen Abgeordnetentätigkeit besonders in den Blick nehmen?

Schäuble: Ich will mich vor allem darauf konzentrieren, meinen Erfahrungsschatz aus vielen Jahren in Regierungs- und Oppositionsverantwortung – der übrigens auch manches Scheitern beinhaltet – anderen zugänglich zu machen. Und wenn eine Kollegin oder ein Kollege von meiner Erfahrung profitieren möchte, dann werde ich sicherlich gern unterstützen. Aber ich dränge mich hier nicht auf.

BI: Welches Amt in Ihrer politischen Karriere war Ihnen im Rückblick das liebste?

Schäuble: Bei allen diesen Ämtern, die Sie auch manches Mal an die Grenze Ihrer physischen, psychischen und intellektuellen Leistungsfähigkeit bringen, müssen Sie mit Hingabe agieren. Mit Leidenschaft. Deswegen kann ich die Frage nicht eindeutig beantworten. Im jeweiligen Amt – ob nun beispielsweise Bundestagspräsident, Finanzminister, zwei Mal Innenminister, Fraktionschef der größten Regierungsfraktion oder Kanzleramtschef – war mir eines immer wichtig: Die Festigkeit in Grundsätzen mit der unbedingten Bereitschaft, die Sachlage auch aus dem Blickwinkel des Anderen zu betrachten. Dies hat mir immer sehr geholfen – in Deutschland, in Europa und auf internationaler Bühne. Deshalb genieße ich ein hohes Ansehen, auch wenn man mit mir nicht immer einer Meinung war. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die Aufgabe für unser Land in hoher Verantwortung gut wahrnehmen zu können.

BI: Ich denke, das war kein schlechter Schlusssatz für ein Interview, das aufgrund des Anlasses ‚50 Jahre BVR‘ viel zurückgeblickt hat.

Schäuble: Das sehe ich auch so.

BI: Herr Dr. Schäuble, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.