Interview mit Dorothee Bär
„Wir brauchen ein gesundes Sowohl-als-auch“
„Let ́s get digital!“ „Na klar, sofort! Aber wie genau?“ Wie gelingt es, dass die Digitalisierung branchenübergreifend nicht zum Selbstzweck wird? Welche Rolle spielt der Mensch? Welche Rolle sollte er spielen?
Wie können Vernetzung, Austausch und Meinungsbildung im Netz tatsächlich gesellschaftlichen Nutzen stiften?
Wir fragten nach bei einer Dame, die sich auskennt. Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt gab uns Antworten – und ließ dabei auch die genossenschaftliche Welt nicht außer Acht.
In der digitalen Welt, insbesondere in den sozialen Medien, hat man oft das Gefühl man schwanke zwischen Himmel und Hölle. Auf der einen Seite dominieren in Kommentarspalten Wut und Häme. Andererseits öffnen sich ganz neue Möglichkeiten des konstruktiven Austauschs und der gegenseitigen Vernetzung. Wie lässt sich die Spreu vom Weizen trennen?
Sie haben recht: Die sozialen Medien eröffnen auf der einen Seite ein großes Potenzial für den demokratischen Diskurs und beleben ihn, das ist eine große Chance. Wir erreichen so auch die junge Generation und können sie für Politik interessieren. Auf der anderen Seite gibt es auch destruktive Tendenzen wie Hate Speech und Diffamierungen. Strafbare Inhalte müssen auch im Netz verfolgt werden. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist hier ein wichtiger Schritt. Nationale Regelungen reichen aber natürlich nicht aus. Auch auf internationaler Ebene arbeitet die Bundesregierung daran, etwa im Rahmen der G7 oder durch Unterstützung der sogenannten Christchurch-Call-Initiative. Diese Initiative wurde im Nachgang zu den furchtbaren Attentaten in Neuseeland im März dieses Jahres ins Leben gerufen und richtet sich gegen die Verbreitung von terroristischen und extremistischen Inhalten im Netz.
Wie kann es noch besser gelingen, dass der Austausch im Netz kein Selbstzweck ist, sondern auch tatsächlich gesellschaftlichen Nutzen stiftet? Lässt sich das steuern?
Kommunikation ist nie nur ein Selbstzweck. Das ist im Netz nicht anders als im analogen Leben. Wenn Sie mit Ihrem Nachbarn über das Wetter reden, dann passiert da ja auch viel mehr, als sich nur über Sonne oder Regen zu informieren. Der kommunikative Austausch zwischen Menschen ist stets wichtig, auch wenn es auf den ersten Blick um belanglose Dinge zu gehen scheint. Es ist das, was uns ein gegenseitiges Gefühl füreinander behalten lässt. Man sollte als Staat nicht anfangen, diesen Austausch zu regulieren oder zu steuern. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Natürlich gibt es klare Grenzen, wo der Staat einschreiten muss, wie eben bei strafbaren Handlungen.
Aus Sicht der Volksbanken und Raiffeisenbanken ist es wichtig, dass der Faktor Mensch auch im Zuge der Digitalisierung stets relevant bleibt. Wie lässt sich das Ihrer Meinung nach bewerkstelligen?
Anspruch der Bundesregierung ist, bei der rasch voranschreitenden Digitalisierung niemanden zurückzulassen. Es geht uns um den konkreten Mehrwert und nicht um Digitalisierung um der Digitalisierung willen. Die Bundesregierung betrachtet daher stets Chancen und Risiken der Digitalisierung, und zwar sowohl aus Sicht der Wirtschaft als auch aus Sicht der Verbraucher. Das klingt zunächst abstrakt. Am Crowdinvesting, einer internetbasierten Finanzierungsform, lässt sich das gut veranschaulichen: Innovative Finanzierungsmodelle stellen eine Chance für die Wirtschaft dar. Gleichzeitig müssen Verbraucher über die mit diesen Finanzierungsmodellen einhergehenden Risiken informiert und vor missbräuchlich agierenden Anbietern geschützt werden.
Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz hat die Bundesregierung bereits 2015 die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Entwicklung des Crowdinvesting-Markts unter Berücksichtigung eines angemessenen Anlegerschutzes geschaffen. Seither wurden die Regelungen für Crowdinvesting zweimal auf empirischer Grundlage überprüft. Dabei hat sich gezeigt, dass sie sich insgesamt bewährt haben. Nur in Einzelaspekten erschienen Nachjustierungen zur weiteren Verbesserung der Unternehmensfinanzierung gepaart mit einem gestärkten Anlegerschutz sinnvoll, wie sie zuletzt Mitte Juli 2019 in Kraft getreten sind.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass wir die Chancen und Risiken von Digitalisierung genau betrachten, zeigt sich im Zusammenhang mit der von Facebook geplanten Einführung der Kryptowährung „Libra“. Ziel von Facebook ist es, „Libra“ weltweit als digitale Privatwährung zu etablieren. Das kann weitreichende Folgen für das bestehende Finanzsystem haben.
Der Staat hat die Aufgabe, die Stabilität des Finanzsystems zu sichern und seine Bürger vor unvertretbaren Vermögensrisiken zu schützen. Daher wird die Bundesregierung das Projekt mit der notwendigen Sorgfalt und gesunder Skepsis prüfen und sich in enger Abstimmung mit internationalen Partnern bedarfsgerecht für eine Regulierung einsetzen.
Es liegt auch im Interesse der Wirtschaft, die Kunden und ihr Bedürfnis nach nutzerfreundlichen digitalen Lösungen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Beim Zahlungsverkehr sehe ich den Aufbau nutzerfreundlicher Lösungen mit hoher Marktakzeptanz als Alternative zu den Angeboten der Big Techs als große Herausforderung für die Finanzwirtschaft.
Die Genossenschaftsbanken in Deutschland verbinden Regionalität und Präsenz in der Fläche mit immer zahlreicheren digitalen und mobilen Services für ihre Kunden und Mitglieder. Wie ist Ihre Sicht auf das Spannungsfeld von regionaler Präsenz und digitalem Angebot?
Auch hier gilt: Der Nutzer sollte im Zentrum der Überlegung stehen. Während neue nutzerfreundliche digitale Angebote von vielen Menschen dankbar angenommen werden, gibt es in zahlreichen Branchen aber auch weiterhin Bedarf für einen direkten Austausch, für einen Ansprechpartner vor Ort. Das gilt zum Beispiel für die medizinische Versorgung: Videosprechstunden halte ich für ein sinnvolles Instrument. Eine angemessene Ärzteversorgung auf dem Land können sie dennoch nicht ersetzen.
Chancen der Digitalisierung zu nutzen bedeutet daher nicht unbedingt, auf Präsenz in der Fläche zu verzichten. Wir brauchen hier ein gesundes Sowohl-als-auch. Die Unternehmen sollten sich hier am Bedarf der Kunden orientieren.
Wie würden Sie das Thema Genossenschaft ins Digitale übersetzen?
Der Genossenschaftsgedanke, also die Idee zur gemeinsamen selbstverantwortlichen wirtschaftlichen Betätigung, ist in Zeiten von Digitalisierung und Sharing Economy hochaktuell. Gerade Sharing-Plattformen können sich gut als Genossenschaften organisieren. Denn die Rechtsform Genossenschaft bietet aufgrund der offenen Mitgliederzahl und der relativ einfachen Gründungsvoraussetzungen hierfür großes Potenzial. Das Genossenschaftsrecht erlaubt es zudem, Beschlüsse in elektronischer Form zu fassen und Generalversammlungen virtuell abzuhalten.